Die Macht von Serien

Wir leben im Moment ja in der Zeit der Serien. Der Ausdruck Binge Watching (das Schauen gleich mehrerer Folgen einer Serie am Stück) ist den meisten von uns mehr als geläufig. Ob in der Theorie oder schon wahrscheinlicher: in der Praxis. Nun muss ich mich hier als Laiin outen. Dieser Trend ist an mir beinahe vorbeigegangen. Die Betonung liegt auf beinahe. Mit der richtigen Thematik hat es mich natürlich auch erwischt. Sie können es sich wohl schon denken, nämlich mit Essen und Trinken. Ich weiß nicht, ob Sie Chef’s Table jemals gesehen haben, aber wenn nicht, sollten Sie das unbedingt nachholen. Wobei gleich die Warnung: Diese Serie könnte Ihr Leben auf den Kopf stellen. Wie das auch zu einem gewissen Grad bei meinem Partner und mir der Fall war.

Plötzlich haben unsere Kochsessions nicht mehr abends stattgefunden. Samstagmorgens mussten wir nämlich unbedingt gleich nach dem Aufstehen eine Folge anschauen und uns dann direkt in die Küche begeben, um sofort mit dem Kochen anzufangen. Da war es vielleicht neun oder zehn. Ja, und dort haben wir uns auch nicht mehr wegbewegt. Wenn, dann nur um eine weitere Folge anzuschauen und direkt weiterzukochen. Der einzige Grund um rauszugehen war dann der leergekochte Kühlschrank. Was sich samstags in Wien ja sehr gut mit einem Marktspaziergang kompensieren lässt. Spannend auch, wie man sich dort plötzlich von Stand zu Stand bewegt. Nämlich beim Betrachten der Zutaten immer gleich mit möglichen Kreationen im Hinterkopf. Sie sehen schon, wieder mal Suchtgefahr. Das gute Tröpfchen Naturwein zu den jeweiligen Gerichten durfte natürlich auch nicht fehlen, halbe Sachen machen wir bekanntlich nicht. Ja, und so waren wir an den Wochenenden nicht mehr gesehen.

Die neue Kochsucht wurde übrigens schnellstens verbreitet. Einmal angefangen gab es kein Zurück mehr. So auch beim ersten Besuch bei meiner Familie, nachdem wir der Serie verfallen waren. Es fing klein an und wurde immer spektakulärer. Beim ersten Mal verwöhnten wir die anderen mit unzähligen schmackhaften Mini-Gängen. Mein Bruder durfte ausnahmsweise auch eine Rolle übernehmen, die des Sommeliers. Dafür gaben wir nur wenige Eckdaten zu den Gerichten preis, diese reichten ihm allerdings vollkommen, das Pairing war stets perfekt. (Was wir natürlich wussten, sonst hätten wir ihm diese verantwortungsvolle Rolle definitiv nicht übertragen.) Ja, und von da an waren auch unsere Tage bei meiner Familie von dieser Sucht geprägt. Und zwar nicht mehr nur unsere, sondern ab dem zweiten Mal auch die von allen anderen.

Ab sofort wollten alle kochen, also werden die Gänge seither jeweils auf Pärchen aufgeteilt. Die Betonung liegt auf Gänge. Wenn, dann richtig. Ja, und so stehen wir alle morgens auf und all unsere Gedanken drehen sich nur darum, woraus die Gänge denn bestehen sollen. Was natürlich geheim bleibt. Ansprechbar ist tagsüber niemand mehr so recht. Wir haben ja Wichtigeres im Kopf.

Die Entscheidungsfindung sieht bei allen Beteiligten allerdings vollkommen anders aus. Mein Bruder zieht sich Videos von Köchen, die ihm imponieren, zur Inspiration rein. Ich überlasse die Auswahl meinem einfallsreichen Foodie-Partner und geb nur dann meinen Senf dazu, wenn er wieder irgendwas mit Fleisch oder so machen will. Und meine Mutter hat zum Glück ganz alleine plötzliche fantastische Eingebungen. Mein Vater ist und bleibt bei uns der Salatbuffet-Beauftragte. Das macht er ganz vorzüglich, findet bei so einem Chef’s Table allerdings nicht so richtig seinen Platz. Aber das macht ihm gar nix, er genießt das Zuschauen und Verwöhntwerden. Wobei er für meine Mutter und sich die Rolle des Chief of Einkaufens einnimmt. Also in Wirklichkeit eine äußerst essentielle. Nicht zu unterschätzen. Speziell wenn man so ziemlich jeden Supermarkt aufsuchen muss, um am Ende zumindest die Hälfte der benötigten Zutaten zu erhalten.

Wie Sie sehen, dreht sich nun bei Familienbesuchen alles nur noch um das Eine. Also noch mehr als sonst. Was schon ganz schön was heißt. Dass wir diesbezüglich noch eine höhere Dimension erreichen können. Und wenn Sie wüssten, was da so alles auf dem Tisch landet. Unfassbar. Also mit Chef’s Table können wir definitiv mithalten. Und wie das halt so ist mit Neuem und Veränderungen, irgendwas bleibt immer hängen. So lauten Weihnachtswünsche mittlerweile „Chef’s Table Abende“. Wenn es ums Essen geht, müssen sowieso immer mindestens drei Gänge auf den Tisch. Ja, und mein Bruder kennt mittlerweile wohl schon alle Kochvideos auswendig. Der hat hauptsächlich Mühe, den Weinkeller wieder zu befüllen.

Schön langsam machen wir aber auch wieder andere Dinge am Wochenende anstatt von Chef’s-Table-Binge-Watching und Dauer-Koch-Sessions. Zum Beispiel Wocheneinkauf als Hauptprogrammpunkt. Am Markt. Oder lange Spaziergänge. Zum Markt. Sich verwöhnen lassen. Mit verschiedensten Gerichten. Und schmackhaften Weinen. Am Markt. Dann die Taschen mit Köstlichkeiten befüllen. Vom Markt. Um zuhause endlich mal wieder stundenlang Gang für Gang zu kochen und passende Naturweine zu schlürfen. Ok, vielleicht ist doch mehr hängengeblieben, als wir dachten. Sie sehen schon, hoffnungslos infiziert.

Addendum: Chef’s Table Gerichte lassen sich aus allen möglichen bereits zuhause lagernden Zutaten fabrizieren. Allerdings ist dafür ein Besuch beim Bauernmarkt am Yppenplatz am Samstagvormittag auch sehr zu empfehlen. Am besten in Kombination mit einem Espresso und/oder Prosecco bei Dario’s. Am Markt gibt es auch einen Stand vom Biomartin sowie vom Biofisch. Für alle, die sich so richtig für eine Fisch-Session eindecken wollen, zahlt sich definitiv auch ein Ausflug zu Eishken Estate am Großgrünmarkt aus. Wobei eine Auswahl der Produkte auch im LieblingsFisch! am Karmelitermarkt erworben werden kann. Wir pilgern dort schon alleine für den vorzüglichen Oktopussalat hin, den man vor Ort genießen kann. Und Achtung, Spoiler-Alarm: Der Kellner interessiert sich sehr für (Natur)weine. Wir kombinieren unsere Besuche dort gerne mit einer ausgiebigen Verkostung. Sehr zu empfehlen.