Doktor Google
Wissen Sie, kurz vor Weihnachten habe ich etwas ganz Schlaues gemacht. Also 2020, das Corona-Jahr, war ja doch sehr intensiv für manche von uns. Speziell für Weinschädlinge. Und da dachte ich mir, kann ja alles nicht gesund sein, und vielleicht sollte ich mir mal wieder meine Blutwerte anschauen und somit Klarheit schaffen. Also wie es so steht um meinen Körper. Dann hatte ich einen total smarten Plan, nämlich die ersten beiden Jänner Wochen ganz brav zu sein, und dann das Blut inspizieren lassen. Man will ja keine Ärzte in den Tod schocken, schon gar nicht zur besinnlichen Jahreszeit. Kam dann natürlich alles ganz anders. Wie immer.
Ich schrieb meiner Ärztin nämlich eine Mail und bat um eine Vorsorgeuntersuchung Mitte Jänner. Und dann, einen Tag später, bekomme ich plötzlich einen Anruf von einer unbekannten Nummer. Und natürlich ist da die Assistentin dran: „Sie haben ja um einen Vorsorgetermin gebeten. Ginge das nicht noch dieses Jahr?“ Total überrumpelt bin ich am Denken und Stammeln, „ähm, ich weiß nicht, schwierig“. Mit diesem Blut kann ich auch wirklich nicht dorthin. Aber wie das halt so ist, wenn man überrumpelt wird, da hält sich die Willenskraft in Grenzen. „Ja, wann denn dieses Jahr?“ (Es war übrigens eine Woche vor Weihnachten.) „Übermorgen hätten wir einen Termin frei. Und eine Woche später die Befundbesprechung.“ „Ja, ok, das lässt sich einrichten.“ Ach herrje, was habe ich mir da jetzt schon wieder eingebrockt? Aber geschieht mir recht. Irgendwer muss mir ja mal eine Standpauke halten. Wird wohl oder übel meine Ärztin sein. Also ging ich da brav hin, zwei Tage später. Bis dahin gab es nur Obst und Gemüse. Vielleicht hilft es ja. Aber gegen Leberzirrhose? Was macht man dann eigentlich? Muss ich dann meine Leber transplantieren? Ich seh es schon, da kommen harte Zeiten auf mich zu. Krankenstand. Besorgte Menschen. Vorwürfe. Oder doch nicht, Kranken gegenüber sollte man sich damit dann doch zurückhalten.
Also Blutabnahme und wieder zurück zur Arbeit. Und die Erkenntnis: Befundbesprechung erst eine Woche später. Das geht nicht, wie soll das mein Spekulationskopf überleben? Nein, ganz sicher nicht. Also Mail an die Praxis: Senden Sie mir bitte meinen Befund nach Erhalt per Mail. Der kam dann auch kurz später. Dann die nächste Erkenntnis: Ich kann doch keine Befunde lesen. Dafür habe ich definitiv das falsche Studium gewählt. Aber was sehe ich denn da: Sternchen, die Abweichungen von Normwerten signalisieren. Oh nein, ich bin schwer krank. Das google ich natürlich gleich. Und Sie können sich gar nicht vorstellen, was ich alles für Krankheiten hatte. Krebs sowieso. In jeder Hinsicht. Lange wird das mit mir nicht mehr dauern. Zum Glück habe ich das Leben so zelebriert, mit all dem guten Naturwein. Stellen Sie sich mal vor ich hätte das verabsäumt. Da würde ich mich jetzt so richtig fertig machen. War aber eh viel Schönes dabei. Da kann man den Hahn abdrehen. Immerhin länger als Kurt Cobain und all die anderen vom „Klub 27“. Und das war es dann auch schon wieder mit dem Trost. Schlafen konnte ich natürlich nicht mehr. Da half nicht mal Passedan. So lange warten, bis zur Kreuzigung vonseiten der Ärztin.
Nach dem Wochenende die nächste Mail meinerseits: Gibt es denn nicht einen früheren Termin zur Besprechung? Erst nach Weihnachten, das halte ich einfach nicht aus. Wie soll ich meiner Familie denn die heile Welt vorspielen? Wobei, hat ja auch sein Gutes, jetzt wo mein Ende naht. Kein Stress, Fokus auf das Wesentliche, so liebenswürdig werden die mich noch nie erlebt haben. Dann die Antwort: Ja, am 23. ginge auch. Juchee, ich bin gerettet, länger ohne Schlaf und mit literweise Passedan hätte dann auch echt nicht gut geklappt. Das hätte mein schwerkranker Körper nicht überlebt. Also noch zwei schlaflos bangende Nächte. Dann der große Tag. Ich schleppe mich hin, ganz langsam, mit immensem Gewicht am Rücken. Was soll ich ihr sagen? Nichts kann gesagt werden. Hinnehmen. Das ist’s. Spielt ja doch keine Rolle mehr. Also rein ins Verderben. Ich bin zu früh. Dieses Warten. Ich beobachte die anderen im Wartezimmer. Ob die wohl auch alle sterben müssen? Meine Leidensgenossen. Ich fühle mich sehr verbunden. Ach, dich hat es auch erwischt? Ja, dieses Corona-Jahr, wie soll es da auch anders kommen. Verhext. Und dann mein Name, ich schleppe mich rein, mit hängendem Kopf. Sie begutachtet meinen Befund. Ich erwarte das Schlimmste. Welcher Krebs ist es wohl? Kann nur die Leber sein. Ich bin gespannt.
Sie überfliegt einen Wert nach dem anderen. Schaut gut aus, Niere super, Leberwerte schön. Bisschen mehr Vitamin D könnten Sie gebrauchen. Wie jetzt? Und die Sternchen? Ach, die Sternchen, nehmen Sie die nicht so ernst, die bedeuten nicht immer so viel. Ach, Sie kommen aus Rohrmoos? Wie schön, ich fahre manchmal in die Ramsau, zum Orthopäden. Der ist super. Und die Region einfach der Wahnsinn. Und dann plaudern wir über die Region und Schnee und Langlaufen und das graue Wetter in Wien.
Nach einer schlaflosen Woche mit von Doktor Google diagnostizierten schweren Krankheiten. Mit Krebs. Und Leberzirrhose. In Wirklichkeit voll gesund. Tolle Werte. Außer, dass ich vor lauter Schlaflosigkeit fast nicht mehr stehen kann. Aber egal, heute geht’s nach Hause, unter Umständen mit weniger Liebenswürdigkeit im Gepäck. Ich hab ja noch ein bisschen Zeit wie es ausschaut. Die behalte ich mir für später. Und was habe ich gelernt: Zwei wesentliche Dinge, nämlich niemals Doktor Google zu Rate ziehen. Da kann man nur dem Tode geweiht sein. Und zweitens: Also, ich sag es Ihnen, dieser Naturwein, der ist ja sowas von gesund. Mein Körper besteht nach diesem Jahr aus nichts anderem und dennoch habe ich die schönsten Leberwerte meines Lebens. Ich bin entzückt.
Prost.
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