Der Friedhof der lebendigen Weinflaschen

 

Ich bin mir sicher, Sie kennen das auch, dieses Problem mit den begrenzten Möglichkeiten. Dieses sich entscheiden müssen. Man kann ja nicht Fallschirm und Trampolin springen zugleich. Oder gleichzeitig nach Asien und Südamerika reisen. Ist physikalisch einfach nicht möglich. Brauchen Sie nicht mal darüber nachdenken. Wär natürlich schön, ist ja begrenzt unser Leben. Ich habe das Problem ja ein bisschen mit dem Wein. Wie Sie sich vorstellen können. Scheint realistischer, ist es in Wirklichkeit aber nicht.

Um das Ganze etwas anschaulicher zu gestalten: Wenn man sich ein bisschen dafür interessiert, wie unterschiedliche Weine so schmecken, möchte man am liebsten den ganzen Weinvorrat gleichzeitig probieren. Ich hab das immer wieder bei Familienbesuchen. Wissen Sie, mein Bruder hat da so ein kleines spezielles Lager. Das befindet sich im Moment im Haus meiner Eltern. Weil es dort so schön kühl ist im Keller. Also genau in dem Haus, wo ich bei Besuchen schlafe. Ich schlafe sozusagen auf einem Weinfriedhof. Nur dass die Weine zwar schön unter der Erde, aber noch nicht tot sind. Die Betonung liegt auf noch nicht.

Ja, und da mein Bruder weiß, dass sich mein Gaumen nach genau diesen Weinen sehnt, weil Naturweine, und aus einem bestimmten Grund gekauft und sowieso nur die Crème de la Crème. Genau aus diesem Grund bringt er bei einem Besuch meinerseits schon immer ganz viele Flaschen aus seinem normalen Repertoire mit, damit da ja nichts passieren kann. Und ganz schön smart, weil die muss man immer alle erst austrinken, bevor man Nachschub braucht. Und so eine Weinflasche ist ja auch nicht wirklich klein und, ja, jetzt kommts, physikalisch ist nur eine gewisse Menge an Wein möglich, die in so einen Körper reinpasst. Deshalb ist es manchmal auch gar nicht so schlecht, wenn man einen Wein findet, den man nicht so gerne hat, dann kann man die nächste aufreißen. (Mittlerweile bin ich alt genug, um diesbezüglich nichts mehr erzwingen zu müssen.)

Mein Freund findet diese neuen Sitten ja nicht so toll, wir haben jetzt nämlich einen echten Weinfriedhof zu Hause und ins Essen kann ja nur bedingt viel rein, damit es noch nach was Essbarem schmeckt. Die Glühweinsaison ist bekanntlich auch schon vorbei. Und um einen Wein für solche Zwecke handelt es sich bei denen definitiv nicht. Na, auf jeden Fall, um auf die begrenzten Möglichkeiten zurückzukommen, gibt es bei manchen Dingen zum Glück positive Einflüsse. In Bezug auf Wein zum Beispiel die Anzahl der Anwesenden. Da muss man nicht gleich alleine eine ganze Flasche trinken, um den nächsten probieren zu können. Weiters spielt mir eine andere physikalische Tatsache in die Hände, nämlich dass mein Bruder nur bedingt viele Weinflaschen gleichzeitig tragen kann. Ja, und schwuppdiwupp sind die alle weg. Ach herrje, wie schade.

Was machen wir denn jetzt? Ahja, ich weiß was, der Friedhof der lebendigen Weinflaschen. Vielleicht sollten wir den mal inspizieren? Ja, und manchmal habe ich Glück, mein Brüderlein findet seine Schätze ja selbst auch ganz spannend. Und dann machen wir beide uns wie zwei kleine Kinder zu Ostern auf die Suche. Mit klopfendem Herzen und großen Augen und im siebten Himmel. Und ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie die Endorphine dann einschießen, beim Finden der Flasche, beim ersten Schluck. Hat sich ausgezahlt. Aber ich muss ja zugeben, meistens kommen uns dann die begrenzten Möglichkeiten in die Quere. Weil mein Bruder doch ganz viele Weinflaschen gleichzeitig tragen kann. Und weil in meinen Körper nur bedingt viel reinpasst. Ja, und meistens lande ich danach nicht mehr am Friedhof der lebendigen Weinflaschen, sondern schnurstracks in meinem Bett. Und nach den begrenzten Möglichkeiten am nächsten Tag fragt mich bitte niemand.

 

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